Die Erschießung des Kriegsgefangenen Grigorij Afanasenko im Ersten Weltkrieg
„Am Nachmittag des 6. Juni 1916 stieg der Gerichtsoffizier Reserveleutnant Gustav Adolf Güttler in der kleinen sächsischen Gemeinde Lampertswalde aus der Eisenbahn. Ihm war berichtet worden, dass Kriegsgefangene auf einem nahegelegenen Gutshof die Arbeit verweigerten. Am selben Abend ließ er den russländischen Soldaten Григорий Афанасенко (Grigorij Afanasenko) hinrichten.“
Einleitung des Manuskriptes
Projektskizze
Sachsen. 1916. Als der russländische Kriegsgefangene Grigorij Afanasenko die Arbeit verweigert, entfesselt er eine situative Dynamik. An deren Ende stirbt er durch den gezielten Schuss eines Soldaten. Ausgehend von dem Erschießungsbericht des verantwortlichen Gerichtsoffiziers und den Ermittlungen eines Amtshauptmannes werden die Erwartungen, Ermessensspielräume und Interessen im lokalen und im nationalen Rahmen im Umgang mit Kriegsgefangenen während der Jahre 1914 bis 1918 erörtert.
Auf welchen Wegen drang militärische Gewalt in die sächsische Provinz ein? Gegen welche tradierte Normen handelten die lokal beteiligten Akteure? Welche Praktiken brachten sie situativ hervor und wie legitimierten sie diese? Reflektierten sie die (mögliche) Unrechtmäßigkeit ihrer Tat? Wie wurde die eruptive Ausnahmesituation wahrgenommen? Welche Konsequenzen folgten aus der Erschießung für den Gerichtsoffizier, für die Einwohner/innen der Gemeinde und für die sächsischen Militärverantwortlichen?
Projektentwicklung 2017–2023
Das erste Manuskript (2017/18) war als ein Essay angelegt gewesen, der ein nicht-alltägliches Ereignis in den Kriegsjahren in den Mittelpunkt stellte und nach den situativen Radikalisierungsmomenten im Umgang mit Kriegsgefangenen fragte. Im Rahmen einer ausführlicheren Kontextualisierung und einer stärkeren Thematisierung verschiedener Deutungsmöglichkeiten erlangten die Ausführungen zunehmend Aufsatzcharakter. Das Manuskript überschritt mit weiteren (Literatur-)Recherchen schließlich den Umfang eines pointierten Aufsatzes (2019–2020).
Nachdem mich einige Erstleser/innen nachdrücklich darum gebeten hatten, über eine Buchpublikation nachzudenken, begann ich der Corona-Zeit das Manuskript erneut zu überarbeiten. Das Ziel war, ihm eine Buchform zu verleihen, ohne den inhaltlichen Fokus auf die Erschießung aufzugeben.
Im Juli 2021 förderten Nachforschungen wichtige Informationen zu den zentralen Akteuren der Ereignisse zutage. Daraufhin brach ich im September zu einer kurzen und erfolgreichen Archivreise auf. Die gefundenen Überlieferungen ermöglichten es mir, einige verstreute Puzzleteile zusammenzusetzen. Im Februar und Mai 2022 blätterte ich noch einige Akten im Bundesarchiv durch, da der Gerichtsoffizier offenbar noch weitere Spuren hinterlassen hatte.
Im Frühjahr 2023 bewarb ich mich mit einem Abstract für die 62. Internationale Tagung für Militärgeschichte. Leider erhielt ich hierfür im Sommer eine Ablehnung. Zuversicht gab mir daraufhin die Präsentation meines Projektes im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften, bei der mir viel Anerkennung entgegengebracht wurde.
Arbeitsmaterialien
Einige Publikationen aus der Nachkriegszeit sind inzwischen digital verfügbar. Wichtig für mein Projekt waren unter anderem:
- Der Weltkrieg 1914 bis 1918. Die militärischen Operationen zu Lande, hg. vom Reichsarchiv:
Bd. 2: Die Befreiung Ostpreußen (Berlin 1925) via Landesbibliothek Oberösterreich, URN: urn:nbn:at:AT-OOeLB-1319812
Bd. 8: Die Operationen des Jahres 1915. Die Ereignisse im Westen im Frühjahr und Sommer, im Osten vom Frühjahr bis zum Jahresschluß (Berlin 1932) via Landesbibliothek Oberösterreich, URN: urn:nbn:at:AT-OOeLB-1349759 - Wilhelm Doegen, Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland (Berlin 1919) via Max Planck Institute for the History of Science, Permalink: https://soundandscience.de/node/1065
Zur kritischen historischen Einordnung Wilhelm Doegens siehe auch den Beitrag: Utz Maas, Wilhelm Doegen, in: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945 - Frank Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Eine völkerrechtliche Monographie, Berlin 1943 via archive.org
Regionalhistorische Untersuchungen Sachsens erleichtern unter anderem:
Zunehmend wird ebenso Forschungsliteratur im Internet zur Verfügung gestellt:
Archivdokumentation
An dieser Stelle kann nur ein kleiner Einblick in die zuletzt sehr umfangreichen Archivrecherchen gegeben werden. Da ich im Quellenverzeichnis des finalen Manuskriptes nur auf die eingesehenen Archivbestände verweisen werde, dient die folgende Dokumentation aber ebenso als Ergänzung zum kommenden Buch. (Stand: Mai 2022)
Bundesarchiv Berlin,
Bestand: Oberreichsanwalt beim Reichsgericht
Signatur | Titel | Laufzeit |
---|---|---|
R 3003/20048 | Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen vom 18. Dezember 1919, Bd. 1 | 1919–1921 |
R 3003/20049 | Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen vom 18. Dezember 1919, Bd. 2 | 1922–1925 |
R 3003/20052 | Verfolgung von Kriegsverbrechern, Bd. 1 | 1920–1920 |
R 3003/20053 | Verfolgung von Kriegsverbrechern, Bd. 2 | 1920–1921 |
R 3003/20054 | Verfolgung von Kriegsverbrechern, Bd. 3 | 1921–1921 |
R 3003/20055 | Verfolgung von Kriegsverbrechern, Bd. 4 | 1922–1922 |
R 3003/20056 | Verfolgung von Kriegsverbrechern, Bd. 5 | 1884–1921 |
R 3003/20057 | Auslieferungslisten, Bd. 1 | 1919–1920 |
R 3003/20058 | Auslieferungslisten, Bd. 2 | 1920–1921 |
R 3003/20059 | Schriftwechsel über die Auslieferungsfrage | 1920–1921 |
R 3003/20060 | Generalakten des Untersuchungsrichters insbesondere zu Kriegsverbrecherprozessen | 1921–1923 |
R 3003/20061 | Listen der von der Kommission zur Untersuchung der Anklagen wegen Kriegsverbrechen zu bearbeitenden Fälle | 1914–1918 |
R 3003/20062 | Berichte der Kommission zur Untersuchung der Anklagen wegen Kriegsverbrechen | 1919–1920 |
R 3003/20063 | Urteile in Verfahren wegen Kriegsverbrechen | 1919–1928 |
R 3003/20064 | Liste der von feindlichen Gerichten in Abwesenheitsverfahren verurteilten Deutschen | 1919–1925 |
R 3003/20065 | Bestimmungen über die Behandlung von Kriegsgefangenen | 1915–1920 |
R 3003/20066 | Abwehr der von Frankreich erhobenen Anschuldigungen | o.D. |
R 3003/20076 | Kriegsverbrechen.- Zeitungsausschnitte | 1921–1922 |
R 3003/20077 | Verzeichnis der Militärsachen | 1920–1920 |
Bundesarchiv Berlin,
Bestand: Reichsjustizministerium
Signatur | Titel | Laufzeit |
---|---|---|
R 3001/7691 | Auslieferungsliste der alliierten Mächte in Ausführung der Artikel 228-230 des Friedensvertrages | Juni 1919 |
R 3001/7682 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 1 | März–Dez. 1919 |
R 3001/7692 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 2 | Dez. 1919 – Jan. 1932 |
R 3001/7683 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 3 | Jan.–Apr. 1920 |
R 3001/7684 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 4 | März–Okt. 1920 |
R 3001/7685 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 5 | März–Okt. 1920 |
R 3001/7686 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 6 | Apr.–Juni 1921 |
R 3001/7687 | Untersuchung der Schuld am Krieg sowie der Verletzungen des Völkerrechts im Kriege, Bd. 7 | Juli–Nov. 1921 |
R 3001/3721 | Außerordentliche Kriegsgerichte.- Strafverfahren | Jan. 1917 – Okt. 1918 |
R 3001/7677 | Gerichtliches Vorgehen gegen ausländische Kriegsgefangene, deren Unfallversicherung und Fürsorge für die Gefangenen, Bd. 1/1 | Dez. 1914 – Mai 1917 |
R 3001/7678 | Gerichtliches Vorgehen gegen ausländische Kriegsgefangene, deren Unfallversicherung und Fürsorge für die Gefangenen, Bd. 1/2 | Juni 1919 – Nov. 1920 |
Weitere Informationen zu den Akten im Bundesarchiv siehe:
invenio.bundesarchiv.de
Projektpräsentationen
- Die Akte Afanasenko: Ein Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg
Lange Nacht der Wissenschaften in Erfurt, Juni 2023 - Oberseminar Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit (Prof. Dr. Jörg Seiler), Erfurt, WS 2018/19
Publikation
Die Veröffentlichung als Buch ist in Vorbereitung.
Dank
Jenny & Kathrin gilt besonders für dieses Projekt, das (bisher) durch keine Drittmittel finanziert wurde, ein großer Dank! Ob in Berlin oder Dresden, stets nahmen sie mich herzlich auf und sorgten mit Kaffee und Kuchen, Bierchen und Selbstgekochtem, ihrer fröhlichen Lebensart und ihren pragmatisch-witzigen Weltansichten für entspannte Stunden außerhalb der Archive.